13.01.2015

Probieren geht über Studieren

Gerd Sundermeyer setzt auf Sortenvielfalt – die schmeckt

Wer den Obstbauern Gerd Sundermeyer aus Wendhausen in Niedersachsen besucht, muss sich kulinarisch und optisch auf Einiges gefasst machen. Große, kleine, dunkelrote, quittengelbe oder bunt gefärbte Äpfel bieten dem Betrachter eine schier unendliche Vielfalt an Form und Farbe. Beißt der neugierige Besucher dann auch noch in diese unterschiedlichsten Sorten hinein, so wird man an Melonen erinnert oder an süße Zitronen oder vielleicht an einen Hauch von Vanille.

Jede Frucht ist ein eigenes geschmackliches Erlebnis. Unglaublich, denkt sich da der Testesser, dass Äpfel so unterschiedlich schmecken können. Gerd Sundermeyer und seine Frau Daniela wollen diese Vielfalt nicht nur für Äpfel, auch für Pflaumen, Tomaten und alle anderen Früchte, die sie ihren Kunden anbieten. Dies ist ihr Markenzeichen. Über 25 Jahre  haben sie ihre Direktvermarktung mit Hofladen und rund 20 Saisonständen inklusive der Wochenmärkte mit vielen, eigenen Ideen höchst erfolgreich aufgebaut.

Mit 12 ha angefangen

Seit 1886 ist der landwirtschaftliche Betrieb in Familienbesitz. Gerd Sundermeyers Vater bewirtschaftete 12 ha und konnte davon bis in die 70er Jahre seine Familie noch gut ernähren. Neben dem Ackerbau, ein bisschen Obst und Gemüse wurden Hühner und Schweine gehalten. „Mein Vater hat jeden Freitag die Eier `breit gefahren´“, berichtet Sundermeyer schmunzelnd. Das heißt, er fuhr seine Ware zu den Kunden über Land und bis in die Stadt Hildesheim. Der Sohn Gerd wollte zuerst so gar nichts davon wissen, den Hof zu übernehmen. Allerdings hatte sein Großvater, verantwortlich für den Bauergarten mit Apfel-, Pflaumen-, Kirsch- und Birnbäumen, das Interesse des Enkels für den Obstbau geweckt. Hier machte der Nachwuchs erste Erfahrungen über Baumpflege, Sortenvielfalt und Veredlung.

Gerd Sundermeyer studierte dann auch Gartenbau der Fachrichtung Obst und Gemüse in Osnabrück. Drei Jahre sammelte der frischgebackene Gartenbauingenieur Erfahrungen bei Jochen Otte, einem großen Direktvermarktungsbetrieb, dann zog es ihn zu Professor Gerhard Bünemann an die Universität Hannover, wo er sich um das Versuchswesen und Sortenfragen im Obstbau kümmerte. Gleichzeitig wurde der väterliche Betrieb langsam nach den Vorstellungen des Juniors umstrukturiert. 1988 fiel die Entscheidung, die Verantwortung ganz zu übernehmen.

Obstbau auf bestem Lössboden

Die ertragsstarken Lössböden der Hildesheimer Börde werden traditionell für den Getreide- und Rübenanbau genutzt. Gerd Sundermeyer wusste, dass der elterliche Hof für diese betriebliche Ausrichtung zu klein war und er entschied sich für sein Lieblingsressort: den Anbau von Obst und Gemüse. 1988 standen in Wendhausen bereits 8 ha Obst. Zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin Daniela übernahm er den Hof. Daniela Sundermeyer ist gebürtig aus Stade, hatte aber mit Landwirtschaft oder Obstbau nichts zu tun. Sie lernte ihren Mann bei ihrer Arbeit als Erdbeerverkäuferin auf den Sundermeyerschen Saisonständen kennen, um Geld für ihr Studium der Sozialpädagogik zu verdienen. „Ich musste mich irgendwann entscheiden, ob ich meinen eigenen Beruf ausüben, oder den Betrieb mit aufbauen wollte“, erklärt Daniela Sundermeyer, „zudem planten wir, eine Familie zu gründen und das ließ sich besser mit einem Leben auf dem Hof verbinden.“

Keine Übermengen für den Handel

Der Betrieb wuchs auf rund 50 ha an, aber das haben die Sundermeyers wieder zurückgefahren. „Es lohnte sich nicht mehr, überschüssige Ware aus dem Erdbeer- oder Apfelanbau an den Handel zu verkaufen, da die Preise viel zu niedrig für uns sind“, erklärt der Obstbauer. Das Anbau- und Preisverhalten der Marktteilnehmer hat sich in den letzten Jahrzehnten gewaltig verändert. Viele Ackerbauern seien z.B. in die Produktion von Erdbeeren eingestiegen, um neue Märkte zu erobern. Hier explodiere dann in kurzer Zeit die Produktmenge und drücke auf die Erzeugerpreise. Ähnlich laufe dies mit anderen Früchten wie Spargel, Himbeeren oder Heidelbeeren ab. „Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, keine Übermengen für den Großmarkt mehr zu erzeugen“, betont der Gartenbauingenieur. So wird nur noch das angebaut, was auch selbst vermarktet werden kann.

Selbst verarbeiten was übrig bleibt

Doch übrig bleibt immer etwas. Fallobst gibt es jedes Jahr, zu kleine Äpfel ebenso, auch kann Hagelschaden Früchte unverkäuflich machen und Erdbeeren oder Heidelbeeren vom Vortag lassen sich nicht mehr verkaufen. Was macht man damit? Die Sundermeyers sind einfallsreich. Ende der 90er wurde eine kleine Bandpresse gekauft, die für den Betrieb passte. „Wir waren einer der ersten, die das `bag in box´-System nutzten“, erinnert sich der Direktvermarkter. Säfte sind heute ein wichtiger Verkaufsschlager für den Betrieb. Neben Apfelsaft aus verschiedenen Sorten werden auch Rein- und Mischsäfte anderer Früchte aus eigener Herstellung vertrieben. Kunden können auch ihre eigenen Früchte mitbringen und diese pressen lassen. Sie erhalten dann auch den Saft aus ihren Äpfeln zurück. An der Saftbar im Eingangsbereich des Hofladens kann der Kunde die Vielfalt des Angebots selbst prüfen und sich die Kaufentscheidung so erleichtern. Die quadratischen Pappkartons mit Innensack aus Plastik für den Saft wurden vor fünf Jahren neu designt. „Obwohl die Qualität sich nicht geändert hat, konnten wir den Verkauf um 30 % erhöhen“, so Sundermeyer über die Marketingwirkung seiner Verpackung.

98 % der Produktion selbst vermarkten

Doch damit nicht genug. Sundermeyers waren auch mit die ersten, die Apfelchips produzierten. Hierzu wurde ein Räucherofen so umgebaut, dass er zum Trocknen von Obst genutzt werden konnte. Die neueste Idee ist das Apfelleder. „Dabei wird Apfelmus einfach nur vier bis acht Stunden im Ofen getrocknet und es entsteht eine haltbare, gesunde Süßigkeit, die an Gummibärchen erinnert“, beschreibt die Ehefrau ihre Erfindung. So werden nicht nur Äpfel, sondern auch alle anderen Früchte, die nicht verkauft werden können, verwertet. „Dies ist zwar arbeitsaufwändig und kostenintensiv, aber für unseren Betrieb dennoch sinnvoll“, bestätigt Sundermeyer. Fazit ist, dass 98 % des produzierten Obstes auf dem Betrieb weiterverarbeitet werden. Und noch eine höchst interessante Auswirkung hat diese Verwertungsmethode: Eine teure Hagelversicherung braucht der Obstbauer nicht mehr und auch auf EU-Gelder, QS und EU-Zertifizierungsprogramme verzichtet der Betrieb völlig bewusst. „Das macht frei“, ist sich Sundermeyer sicher. Die GAP-Reform kann kommen.

Schon früh merkten die Direktvermarkter, dass es nicht reicht, Obst in Holzkisten anzubieten. Die Kunden wollen mehr. Der Hof und seine Produkte mussten besser verpackt werden. „Produkte rund ums Obst gefallen den Kunden, die ihren Einkauf als Erlebnis genießen wollen“, erläutert Daniela Sundermeyer das Konzept. Ebenso Events wie Kindergeburtstage, Labyrinthe im Hanffeld, Mottofeste für Kürbis, Chilli, Tomate und Apfel  gehören nach Ansicht der Sundermeyers dazu, um die Verbraucher dauerhaft zu binden.  „Bei uns bekommen die Kunden nicht nur hervorragende Qualität und geschmackliche Vielfalt, sondern auch Produkte und Erlebnisse, die nur wir entwickelt haben“, berichtet Daniela Sundermeyer stolz.

300 Sorten Tomaten

Manchmal gelingt auch etwas nicht so richtig. Gerd Sundermeyer beschäftigte sich mit roten Tomaten und wollte diese unbedingt in sein Sortiment aufnehmen. Wenn im Juli die Kirschen und Erdbeeren abgeräumt sind, entstand bis zur Apfelernte eine Lücke bis Mitte September. Da sollte wohl die Tomate bestens hineinpassen. „Die Enttäuschung war groß, als ich mit dieser sehr aufwändigen Produktion keine entsprechenden Verkaufspreise generieren konnte“, gibt der rührige Tomatenanbauer zu. Dann stieß er im Internet auf die unglaubliche Vielfalt an Sorten und das faszinierte den Sortenliebhaber aufs Neue. Heute bewirtschaftet Sundermeyer vier Gewächshäuser mit 2 000 m² und baut hier ca. 300 schwarze, gelbe, gestreifte, rund, ovale, kleine und große Sorten an. Natürlich wird ein Tomatentag veranstaltet, an dem die Besucher ein Sortenmuseum dieser Früchte besichtigen können. „Die klassischen Tomaten aus dem Supermarkt können einem die Lust an dieser Frucht schon austreiben“, meint die Chefin, die selbst zu Beginn von dem Projekt wenig überzeugt war, „kann man die Kunden aber dann überreden, die geschmackliche Vielfalt unseres Angebots einmal zu probieren, so sind sie leicht zu gewinnen. Mir selbst ging das nicht anders.“

Aktiv in der Apfelzüchtung: Zuchtziel: knackig und saftig

Doch noch einmal zurück zu den Äpfeln. Denn die haben es Gerd Sundermeyer besonders angetan. Über 350 alte Apfelsorten hat er in seinem Apfelmuseum gepflanzt. Hier kann im Herbst über Vielfalt in Geschmack und Aussehen gestaunt werden. Genau diese Vielfalt brachte Sundermeyer auf die Idee, neue Sorten zu züchten. „Ich suche mir Muttersorten aus, von denen ich überzeugt bin, deren Eigenschaften ich unbedingt haben will. Vor allem saftig und knackig müssen sie sein“, betont der Züchter.  Den Rest lässt er erst einmal die Natur machen. Die Samen werden stratifiziert, ausgesät, im Gewächshaus kultiviert und dann in der Anlage auf eine gängige Unterlage (M9) gepfropft. „Ich mache es mir im Prinzip ziemlich einfach“, gibt der Obstbauer mit einem Lächeln zu, „wenn der Baum es nach ca. vier Jahren schafft, die erste Ernte zu produzieren, dann gehen wir zu zweit durch die Reihen und probieren die Äpfel einfach durch.“ Bäume mit nicht schmeckenden Früchten werden aussortiert und kurzerhand abgesägt. Anschließend kommen die Früchte ins Lager und werden regelmäßig auf Lagerfähigkeit sowie weiterhin auf Schmackhaftigkeit, Farbe und Aussehen bonitiert.

Vielfalt in Geschmack und Aussehen

Von den 5 000 neuen Apfelsorten, die Sundermeyer stehen hat, wurden bereits 1 000 aussortiert. In diesem Jahr mussten 150 Sorten Ende September getestet werden. Zurzeit haben rund 40 Sorten diese Prüfung bestanden. Davon werden, so schätzt der Züchter, nur zehn als wirklich interessante Varianten übrigbleiben. Von diesen Auserwählten werden dann drei weitere Bäume veredelt und weiter streng überwacht. Natürlich sei das nur ein Hobby, so Sundermeyer. Aber wer die Gelegenheit nutzen darf, die Vielfalt in Geschmack und Aussehen einmal zu schmecken, ist begeistert. „Ich mache das, weil ich ein Alleinstellungsmerkmal für unseren Betrieb haben will“, betont der Apfelzüchter, „die Kunden sollen bei mir Geschmacksvielfalt erleben können und deshalb, wenn sie an Äpfel denken, zu mir kommen.“

Die Sundermeyersche Sorte `Lina´ trug schon nach drei Jahren und ist von Beginn an sehr ertragsstark. Der frisch gepflückte Apfel ist grün und spritzig, knackig und saftig. Im Lager ändert er seine Farbe und wird knallgelb. Ein weiterer geschmacklich an `Goldparmäne´ erinnernder saftiger Herbstapfel ist die nach seiner Frau benannte Sorte `Daniela´.

Versuche mit rotfleischigen Sorten

Auch Versuche mit rotfleischigen Sorten hat der Hobbyzüchter laufen. Hier sei es gelungen, mehr Süße und bessere Lagerfähigkeit hinein zu züchten. „Diese Sorten eignen sich besonders für uns Direktvermarkter. Wichtig für uns ist es, Apfelsorten gegen die `Club –Sorten´, zu denen wir keinen Zugang haben, anbieten zu können.  Deshalb ist dieses vielfältige Angebot in unserer Produktpalette ein wahrer Segen“, erklärt Sundermeyer. Einige der roten Züchtungen stellen auch ihre Qualitäten bei der Verarbeitung zu neuen, innovativen Getränken oder rotfarbigen Säften besonders heraus. Sundermeyer ist daher auch auf der Suche nach Partnern für die Vermarktung von roten Sorten im Verwertungsbereich.

Ohne Risiko Sorten ausprobieren

Sundermeyers Lieblinge sind zurzeit die Sorten 66 und 104. Der erste Apfel ist sehr saftig und knackig. Das feste Fruchtfleisch besitzt einen hervorragenden Geschmack. Der Apfel kann gut gelagert werden. Die Sorte 104 ist ebenfalls von außergewöhnlichem Geschmack, von schöner Form und sehr lange haltbar. Welche von seinen vielen Sorten vielleicht die Chance hat, in der „Oberliga“ – wie sich Sundermeyer ausdrückt – zu spielen, ist nicht klar. Dass einige Sorten beim Bundessortenamt angemeldet werden, kann sich der Apfelzüchter sehr gut vorstellen. Zurzeit vermarktet die Firma SFD – Sorten für Direktvermarkter, einige seiner besten Sorten. Dabei bekommen die interessierten Apfelanbauer einige Exemplare zum Ausprobieren. Findet die Sorte Anklang, können dann mehr Pflanzen bestellt werden. „Damit kann der Obstbauer ohne großes Risiko Sorten ausprobieren und selbst abschätzen, ob diese in sein Sortiment passen“, ist Sundermeyer überzeugt.

Gerd Sundermeyer und seine Frau sind sicher, dass der Kunde Qualität und Geschmack bei Obst und Gemüse durchaus zu schätzen weiß, allerdings nur selten die Gelegenheit bekommt, diese zu genießen. Die Qualität in den Supermärkten halten sie nicht dafür geeignet, den Verbrauchern Lust auf Obst und Gemüse zu machen. Hier stehe oftmals nur die optische Qualität im Vordergrund. „Wir als Direktvermarkter nutzen unsere Chance, den Verbraucher an geschmackliche Vielfalt heranzuführen, sehr intensiv. Wir können das leisten und gewinnen so eine treue und anspruchsvolle Kundschaft“, fasst Gerd Sundermeyer zusammen.