12.02.2014

Stippvisite bei Chrestensen

von Marlis Heinz

Wer im Sommer oder Herbst die Erfurter Samen- und Pflanzenzuchtfirma Chrestensen besucht, fährt vorbei an blühenden, sich weit über ein paar Felder ziehenden Streifen – den Sortengärten. Im Jahr 2013 waren die allerdings ziemlich klein ausgefallen. Ein Hagelschlag im Mai richtete über eine halbe Million Schaden an, so dass die Gärtner nur einen Bruchteil ihrer Produkte herzeigen konnten. Normalerweise gedeihen auf dieser Referenzfläche 1 500 Sorten. Doch wer zur Firma Chrestensen fährt, weiß in der Regel längst, was ihm dort blüht, ist sie doch eine der ältesten noch existenten der Branche.

In einem kleinen Geschichtskabinett erzählt die Firma N.L. Chrestensen ihre lange Geschichte: Anno 1867 gründete der dänische Gärtnergehilfe Niels Lund Chrestensen eine Kunst- und Handelsgärtnerei in der Marktstraße in Erfurt. Fünf Jahre später verteilte er seine ersten Versandkataloge für "Gemüse-, Feld-, Gras-, Wald- und Blumensämereien" und bald agierte er weltweit. Auf  der Weltausstellung 1893 in Chicago erhielt das Erfurter Unternehmen die Kolumbus-Medaille für neuartige Züchtungen und Angebotsformen. Außerdem war Chrestensen 1908 Mitbegründer des inzwischen weltumspannenden Fleurop-Dienstes, so dass auf dem Firmengelände heute das älteste noch am ursprünglichen Standort arbeitende Fleurop-Geschäft zu finden ist. In Erfurt erzählt man sich zudem, dass bei den Chrestensens das erste private Telefon der aufstrebenden Stadt gestanden habe.

Seit 1930 war die Niels Lund Chrestensen KG intensiv an der Entwicklung der Hybridzüchtung beteiligt und entwickelte unter anderem welkeresistente Astern. Die modernen Zuchtmethoden setzten sich in In-vitro-Zuchtverfahren fort. Wobei der Erfolg kein Automatismus, sondern ein intensives Ringen war. „Alle unsere bisherigen Kontakte, vor allem die quantitativ wichtigen in den Osten, fielen Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts weg“, erzählt Prokurist Niels Lars Chrestensen, der Ururenkel des Firmengründers. Inzwischen kann er wieder von Kunden in aller Welt sprechen und von lückenlosen Geschäftsfeldern und Handelswegen: Anbau und Züchtung, Saatgut und Jungpflanzen, Import und Export, Vertrieb über Katalog, Einzelhandel und online.

Auch die Produktionsflächen haben sich ausgeweitet. Die blühenden Teppiche vor den Toren der Firma sind nämlich nur die Probefelder auf rund 22 ha. Die eigentliche Produktion findet in wärmeren Gefilden statt und solchen, in denen der Boden preiswerter ist. Weltweit sind das über 2 500 ha Vermehrungsfläche und 100 ha unter Glas. So werden beispielsweise in Ostafrika und China Blumen- und Gemüsesamen, in Südosteuropa Bohnen und Erbsen vermehrt. Das meiste läuft über Vertragsanbau, wobei Anbauberater von Chrestensen vor Ort aktiv sind.

Geprüft und abgepackt wird nach wie vor in Eigenregie. Etwa 15 bis 17 Mio. Beutel werden jährlich abgefüllt. In Erfurt wird auch eine Lohn- und Werbebeutelabfüllung für Großkunden und Werbepartner durchgeführt. „Wenn beispielsweise mal die Partei „Die Grünen“ Sonnenblumensamen verteilen will, dann entwerfen wir die Verpackung und füllen die mit Samen“, verrät Chrestensen. Ebenfalls in Erfurt geschieht die Bestückung der Displays für Garten-Center, Baummärkte, den Lebensmitteleinzelhandel und Endverkaufsgärtnereien. Mit regionalen Unterschieden, wie Chrestensen erläutert: „Im Norden beispielsweise liebt der Konsument den großen, runden Kohl, im Süden den Spitzkohl.“

Über 1 200 verschiedene Arten und Sorten, darunter mehr als 200 eigene Züchtungen, repräsentieren heute das Profi-Saatgut- und Pflanzensortiment der Marke NLC, das durch zahlreiche Saatgutspezialsortimente, Neuzüchtungen auf dem Arznei- und Gewürzpflanzensektor und Pflanzen in Gärtnerqualität erweitert wird. So wachsen 70 % aller deutschen Pfefferminze in Thüringen, und zwar teilweise aus Chrestensen-Züchtungen. Weitere Züchtungsprojekte sind blattfleckenfreie Petersilie, Melisse für Ölgewinnung und die Energiepflanze „Durchwachsene Silphie“ als Alternative zum Mais für Biogasanlagen.

Zu einem wichtigen Unternehmenszweig gehört die Produktion von Jungpflanzen. Mit etwa 8 Mio. erzeugten Jungpflanzen werden verschiedene Profigärtner und –anbauer beliefert. Von Beet- und Balkonjungpflanzen bis hin zu Melisse, Pfefferminze und Durchwachsener Silphie reicht das Anzuchtportfolio bei Chrestensen. Des Weiteren werden auch eine Vielzahl an Fertigprodukten produziert. Veredelte Gemüsejungpflanzen, Heil-, Gewürz- und Küchenkräuter sowie Beet- und Balkonpflanzen finden den Weg in Garten-Center sowie Bau- und Heimwerkermärkte.