24.06.2014

Tulpen aus dem Norden von Amsterdam

Apeldoorn Bloembollen VOF, NL-Egmond Binnen

von Tim Jacobsen

Wie so oft in Gärtnerkreisen, beginnt auch die Unternehmensgeschichte von Apeldoorn Bloembollen VOF Anfang des letzten Jahrhunderts auf einem Bauernhof, der sich von außen betrachtet am ehesten noch als auf Viehhaltung spezialisiert charakterisieren ließe. Und wie so oft in der Landwirtschaft, waren auch bei Familie Apeldoorn manche Weichen schon gestellt, ohne dass die eigentlich Beteiligten irgendetwas daran hätten ändern können: Als Nicht-Erstgeborener konnte sich der Vater von Jan-Karel Apeldoorn nur wenig Hoffnung auf die Übernahme des elterlichen Betriebes machen. Da kam es gut zupass, dass sein Herz sowieso deutlich mehr für die Blumenzwiebelanzucht schlug. Gemeinsam mit seinem Bruder nutzte er die Chancen, die die Sandböden an der niederländischen Westküste boten.

Die Nachfolgegeneration erbte nicht nur die Liebe zur Blumenzwiebel, auch die gelebte Arbeitsteilung zwischen Onkel und Vater machte Schule: 2009 übernahm Jan-Karel gemeinsam mit seinem Bruder und einem Neffen die Geschäfte von der Vorgängergeneration. Apeldoorn übertreibt nicht, wenn er erklärt: „Das hat sich einfach gefunden“ - schließlich haben die Drei alle anfallenden Arbeiten perfekt aufgeteilt. Der Neffe ist Fachmann für die Feldarbeiten, der Bruder kümmert sich um alles, was mit Aufbereitung und Lagerung zu tun hat und Jan-Karel leitet den Verkauf.

Seit der Aussiedlung liegt der Betrieb an der Straße zwischen Egmond binnen und Egmond aan Zee. Fährt man auf das Betriebsgelände, wird man nicht nur von einer mehr oder weniger steifen Seebrise empfangen, auch die Dünen liegen in greifbarer Nähe und fast meint man, das Rauschen der Wellen hören zu können: „Es ist rund ein Kilometer bis zum Meeresufer.“ Geblieben sind über die Jahre die Produktionsschwerpunkte. „Gut vier Fünftel unseres Geschäftes besteht aus der Blumenzwiebelanzucht.“ Erweitert wurde im Laufe der Jahre allerdings das Produktspektrum. Neben den Zwiebeln von Tulpen und Narzissen, die den Anfang machten, werden derzeit auf rund 100 ha auch die Zwiebeln von Hyazinthen, Lilien, Iris´, Krokussen, Muscaris und verschiedenen Alliums produziert. Der Vorteil der Produktvielfalt liegt Apeldoorn zufolge klar auf der Hand: „Fruchtwechselfolgen sind kein Problem, mit den Tulpen kommen wir einmal in fünf Jahren auf die gleiche Fläche. Wir sind zwar in einer Tulpen- und Narzissenregion, befolgen aber unseren eigenen Anbauplan. Auf diese Weise können wir im Prinzip ewig weiter machen.“

Das Blumenzwiebel-Tulpenjahr beginnt jeweils drei Monate vor Jahresende. Von Anfang Oktober bis Ende Dezember werden die Frühjahrsblüher auf den leichten Böden fünfreihig bis zu 12 cm tief in 1,80 m breiten Beeten gepflanzt. Die kühlen winterlichen Temperaturen regen die Zwiebeln an, Wurzeln zu bilden. Rund 1 Mio. Tulpen werden auf den Hektar gepflanzt. Regelmäßig werden die Bestände vom Austrieb bis zur Ernte kontrolliert. Beim Pflanzenschutz wird Nachdruck auf die Bekämpfung der Virenüberträger gelegt. Ende April öffnen die Tulpen dann ihre Blüten. Wenig später sind die Bestände in den beiden Tulpenregionen in den Provinzen Süd- und Nordholland dann von einem Tag auf den anderen nicht mehr wieder zu erkennen: gleichen sie an dem einem Tag noch einem riesigen bunten Flickenteppich, ist davon am nächsten Tag kaum mehr etwas zu sehen: Die Blüten werden möglichst kurz unter dem Blütenboden abgemäht, um den Zwiebeln das maximal mögliche an Assimilationsfläche zu lassen, aber keine Energie an die Samenbildung zu verschwenden.

Möglichst viel Blattgrün haben diese Zwiebeln auch dringend nötig, schließlich haben sie von Anfang Mai bis Mitte Juni nur wenige Wochen Zeit, im Umfang so weit zuzulegen, dass sie die Verkaufskriterien erfüllen können. Dies kann nur gelingen, wenn die Wachstumsbedingungen weitgehend optimal sind: neben Kunstdüngergaben, ausreichend Licht ist vor allem der Sandboden, auf dem überschüssiges Wasser zwar schnell abläuft, der aber trotzdem stets feucht bleibt, einer der wichtigsten Produktionsfaktoren. Bis spätestens zum kalendarischen Sommeranfang werden die Zwiebeln von Siebrodern dann direkt in Kisten geerntet, auf dem Betriebsgelände gesäubert und innerhalb von 24 Stunden mit viel warmer Luft getrocknet. In weniger als sieben Tagen nach dem Roden sind die Zwiebeln dann oft bereits beim Zwischenhändler oder sogar schon auf dem Weg zur ihrer Endbestimmung.

Sobald dann Anfang November die allerletzten Bestellungen das Betriebsgelände verlassen haben, nimmt der Handel für das nächste Jahr bereits wieder deutlich an Fahrt auf. Die meisten Geschäftsbeziehungen haben dabei eine lange Geschichte. Neben den Zwiebeln, die Apeldoorn direkt verkauft, geht ein Teil der Ware an zwei Zwischenhändler. Apeldoorns Blumenzwiebeln können deshalb theoretisch so gut wie überall wieder auftauchen: je nach Abnehmer könnten sie beispielsweise auch in den bunt bebilderten Trockenzwiebelsäckchen zu finden sein, die in den Herbstmonaten mittlerweile auch im Lebensmitteleinzelhandel zum Standardsortiment gehören, auch wenn dies nicht unbedingt Apeldoorns Zielmarkt ist.

Manche landen auch in Keukenhof, der alljährlichen Leistungsschau der Tulpenzüchter. Dank der internationalen Strahlkraft tut es den Besucherströmen keinen Abbruch, wenn das Wetter dem Tulpenvergnügen in der Nähe von Lisse manchmal Streiche spielt. Apeldoorn erinnert sich an letztes Jahr: „Als Keukenhof 2013 seine Pforten schloss, war er am Schönsten.“ Beliefert wird der unter Besuchern aus dem Fernen Osten besonders beliebte Park von so gut wie allen niederländischen Blumenzwiebelproduzenten. „Es wird ein Entwurf gemacht, in diesem Jahr Thema ist das Leitthema Holland, und dann sagen die Landschaftsgärtner, was sie brauchen. Wir liefern, und die kümmern sich um den Rest.“ Aber auch ohne Tulpen wäre Keukenhof laut Apeldoorn eine Reise wert: „Schließlich ist es der schönste Park der Niederlande.“

Apeldoorn schätzt, dass er rund vier Fünftel seiner Blumenzwiebeln vor der Ernte bereits verkauft hat - und auch die Exportbetriebe haben zum Zeitpunkt der Ernte bereits einen Großteil der erwarteten Ernte schon wieder verkauft, bevor es richtig losgeht. Sind die Zwiebeln dann kurz nach der Ernte beim Zwischenhändler, gehen damit auch die Risiken auf die nächste Verkaufsstufe über. Apeldoorn erklärt, dass er für einen Markt produziert, nicht für einen Kunden: „Die Qualität muss stimmen.“ Das von Apeldoorn produzierte Sortiment muss bestimmte Anforderungen erfüllen, um die angepeilten hochpreisigen Märkte bedienen zu können. Die Hürde, dass in Ländern wie den USA oder Japan nur Pflanzenprodukte ohne Erdanhaftungen exportiert werden dürfen, nimmt Apeldoorn spielend. „Nicht zuletzt sind es ja gerade die leichten Sandböden im Nordwesten der Niederlande, die dazu geführt haben, dass sich der Blumenzwiebelanbau hier etablieren konnte.“

Um dann aber auch entsprechende Besonderheiten bieten zu können, für die die Kunden in Japan oder Russland bereit sind, mehr Geld auszugeben, sind einige Anstrengungen vonnöten. Apeldoorn ist ein großer Fan der überbetrieblichen Kooperation: „Einer alleine kann wenig  bewegen, auch nicht die großen Jungs.“ Mit so genannten Produktclubs haben die Blumenzwiebelproduzenten mit Eigeninitiative die Löcher gefüllt, die sich mit der Abschaffung der Productschap Tuinbouw auftaten. So beauftragten die Tulpenzwiebelproduzenten gemeinsam Wissenschaftler an der Universität Wageningen mit der Züchtung neuer Tulpensorten. Als eines der Hauptzuchtziele legten die Produzenten fest, dass zukünftig mit weniger chemischem Pflanzenschutz ausgekommen werden muss. Mehr als zehn Jahre arbeiten die Wissenschaftler bereits an der Erfüllung dieses Auftrags, und es ist mittlerweile gelungen, die gewünschten Eigenschaften einzukreuzen. Apeldoorn räumt ein: „Schön ist sie aber noch nicht.“

Zwölf Jahre und mehr in die Zukunft blicken zu müssen gehört in der Blumenzwiebelproduktion zum Tagesgeschäft. „Spontan auf Moden zu reagieren, ist wegen der langen Dauer des Zuchtvorgangs und vor allem auch der Zwiebelproduktion unmöglich“ Schließlich läge es nun einmal in der Natur der Dinge, dass nicht mehr als eine Zwiebelgeneration pro Jahr erzeugt werden kann. „Deshalb kann man auch nicht neue Dinge kaufen und schnell ausprobieren. Auch bei neuen, vielversprechenden Sorten dauert es fünf bis sechs Jahre, bevor entsprechende Stückzahlen vorhanden sind. Den Zwiebelvorrat aufzubauen geht langsam. Da kann man dann schwer mit der Mode gehen: ist rosa nicht mehr gefragt, dann können wir höchstens überlegen, weniger rosa anzubauen: Weniger zu produzieren geht leicht - mehr ist schwierig. Wir können nicht von heute auf morgen nur noch gelbblühende Blumenzwiebeln machen.“

„Dies bedeutet, dass wir weit im Voraus planen müssen. Aber selbst dann: Manchmal kaufen wir eine Sorte, die vielversprechend ist, und später stellt sich dann heraus, dass diese Sorte nicht leicht zu kultivieren ist oder im schlimmsten Fall die Bestände mit Viren infiziert werden.“ Der Ackerbau habe es da im Vergleich sehr einfach: „Da fängt es jedes Jahr neu an, bei den Tulpen dagegen geht es immer weiter. Die Zwiebeln werden immer wieder aus dem gleichen Vorrat produziert. Wenn dann etwas schief geht, geht es richtig schief.“ Apeldoorn unverzagt: „Aber so läuft das Spiel.“ Und verschweigt auch nicht: „Der Vorteil ist, wenn eine Sorte gut ist, dann ist sie auch lange auf dem Markt.“

Der lange Zeitraum von der Züchtung bis zu vermarktungsfähigen Mengen hilft beim Sortenschutz: „Kopieren und Plagiieren sind fast unmöglich. Dazu kommt dann noch, dass es nicht viele Flecken auf der Welt gibt, an denen sich Blumenzwiebeln überhaupt anbauen lassen – schließlich braucht man dafür ein kühles Frühjahr verbunden mit milden Wintern. In Südfrankreich beispielsweise wird es zu schnell warm. Allerdings erlaubt dies auch, dass die Zwiebeln dort früher geerntet werden und dann schneller wieder zur Blüte gebracht werden können.“ Während die Tulpenzwiebeln in Nordholland Mitte Juni geerntet werden, kommen sie weiter südlich schon Mitte Mai vom Acker. „Damit hat man einen Monat gewonnen. Zwar haben auch diese Zwiebeln ihre Ruheperiode nötig, aber es kann einen Monat früher mit der Temperaturbehandlung begonnen und mit diesen Zwiebeln dann auch entsprechend einen Monat früher Schnitttulpen produziert werden.“ Will man noch früher auf den Markt, muss man Apeldoorn zufolge entweder Zwiebeln von der Südhalbkugel oder überjährige Zwiebeln nehmen. „Das ganze Jahr hindurch Schnitttulpen zu produzieren, ist kein Problem.“ Apeldoorn bezweifelt, ob diese Blumen dann aber auch immer Abnehmer finden würden. „Tulpen gehen am besten zwischen Weihnachten und Ostern. Wollte man das Angebot weit über das Frühjahr hinaus ausdehnen, wird man feststellen, dass der Konsument schlicht und einfach die Tulpen irgendwann satt hat.“

Wurde früher ein Großteil der Tulpenzwiebeln noch in Hausgärten, Parks und im öffentlichen Grün gepflanzt, ist seit einiger Zeit insbesondere die Verwendung im häuslichen Bereich rückläufig. An Bedeutung zugenommen hat dagegen der Absatz für die Schnitttulpenproduktion. Da die Zwiebeln von Apeldoorn leicht zu säubern sind, und auch weil die in den Niederlanden in der Schnitttulpenproduktion üblichen 50 € pro 1000 Zwiebeln den Apeldoornschen Aufwand nicht rechtfertigen, geht ein Großteil in den Export. Nur jede 20. seiner Tulpenzwiebel bleibt in den Niederlanden, bei den Lilien ist es jede fünfte. Beim dritten Hauptprodukt Apeldoorns, den Hyazinthen geht dagegen nur ein Drittel in den Export, der Rest wird im eigenen Land an Anzuchtbetriebe verkauft.

Der amerikanische Absatzmarkt zeigt sich weitgehend stabil, während die Bedeutung Japans schrumpft, hauptsächlich aufgrund der zunehmenden Einfuhr chilenischer Blumenzwiebeln. „Russland, Polen und China nehmen insgesamt an Bedeutung zu, die Hauptfarben lassen sich aber auch in den Niederlanden gut verkaufen, während im Osten vor allem die großen schweren Tulpen gut gefragt sind.“ Die zunehmende Bedeutung der Tulpenzwiebel für die Schnittblumenproduktion hat Apeldoorn zufolge zwar Schwung in den Absatz gebracht, für eine Reihe schöner Sorten war dies jedoch gleichbedeutend mit dem Ende ihrer weiten Verbreitung. „Während sich Schnitttulpenzwiebeln auch pflanzen lassen, können Pflanzzwiebeln nicht ohne weiteres als Ausgangsware für Schnitttulpen Verwendung finden.

Neben den drei Geschäftsführern sind im Betrieb ganzjährig sechs weitere Arbeitskräfte beschäftigt. Die Anzahl Saisonarbeitskräfte variiert im zweistelligen Bereich. Um die Kapazitäten der Stellflächen, Kühlanlagen und Arbeitskräfte möglichst gut auszulasten, produziert Apeldoorn neben den Zwiebeln auch so genannte Zwiebeln im Topf. Leicht sitzt man dem Fehlglauben auf, dass getopft wird, was nicht verkauft wurde. In Wahrheit ist es aber genau andersrum: Verkauft werden von den Narzissen- und Muscarizwiebeln, was nach dem Topfen noch überbleibt. Produziert werden die Zwiebeln extra für die Weiteranzucht im Topf. Ein Aufwand der sich lohnt - die Fangemeinde unter den Blumenhändlern ist groß. Um den Einkäufern an der Versteigerung das Leben etwas einfacher zu machen, sind Apeldoorns Markenzeichen die lila Blumentöpfe und Schalen. Auch wenn man meinen würde, dass Blumenzwiebeln ein typisches Saisongeschäft ist, kehrt so auch in den Wintermonaten nur selten Ruhe ein in Apeldoorns idyllisch gelegen Betriebsgebäuden.