05.07.2024

Kommentar: "Paket, Postkarte oder Politur?"

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert
Foto: RLV

In der vergangenen Woche hat die Regierungskoalition in Berlin ein Entlastungspaket vorgelegt. Naturgemäß fallen die Bewertungen sehr unterschiedlich aus. Was in dem Paket steckt und wie es da reingekommen ist, wirft auch ein Licht auf die Rolle von Agrarminister Cem Özdemir.

„Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz (Anmerkung der Redaktion: landläufig als Heizungsgesetz bekannt), also wie heizen wir in Zukunft, war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz — wenn er konkret wird — zu tragen.“ Das erklärte Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck Ende Mai im Rahmen eines Bürgergesprächs aus Anlass des 75. Jahrestages des Grundgesetzes in Berlin. Parallelen zum Agrarpaket, das die Fraktionsspitzen der drei Regierungsparteien in der vergangenen Woche vorgelegt haben, sind offensichtlich.

Beim Heizungsgesetz hat die Bundesregierung versucht, das Vorhaben im vergangenen Jahr noch vor der Sommerpause im Galopp durch die Instanzen zu bringen. Abgeordnete der Opposition sahen sich deshalb sogar genötigt, vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe zu ziehen, um mehr Zeit zu erstreiten, damit sie sich ausgiebig mit den Details beschäftigen konnten.

Nicht anders ist es nun beim sogenannten Entlastungspaket für die Landwirtschaft. Das soll dem Antrag der Regierungsfraktionen zufolge die „Landwirtschaft in Deutschland zukunftsfähig gestalten“ und umfasst mehrere Gesetzesänderungen. Vorgestellt wurde es einen Tag vor dem Bauerntag in Cottbus, sodass viele Medien schon im Vorgriff darauf vermittelt bekommen haben: Die Bauern brauchen doch nicht mehr zu klagen, denn Hilfe ist schon unterwegs. So kann man auch versuchen, dem ramponierten Regierungsimage eine Politur zu verpassen.

Ende vergangener Woche kam das Paket schließlich in den Bundestag und am Montag dieser Woche gab es bereits eine Anhörung im zuständigen Agrarausschuss dazu. Allerdings war auch hier die Zeit denkbar knapp, um sich mit den Vorschlägen der Ampelparteien eingehend auseinanderzusetzen. Das bemängelten neben einigen Mitgliedern des Ausschusses auch geladene Sachverständige. Die waren sich mehrheitlich auch einig, dass das Agrarpaket nicht ausreicht, und verlangten daher deutliche Nachbesserungen. Damit sind sie nicht allein. Denn was etliche Kritiker als Päckchen und manche gar nur als Postkarte betiteln, ist auch für wohlmeinendere Zeitgenossen allenfalls ein erster Schritt, dem – je nach Standpunkt – weitere folgen sollten oder müssen.

Damit zurück zu den Parallelen zum Heizungsgesetz. Denn den Umgang mit der Landwirtschaft, der sich in dem Regierungsgebaren zeigt, kann man auch als Test verstehen – als Test, wie weit man mit den Zumutungen der Landwirtschaft gegenüber gehen kann und wo deren Schmerzgrenze liegt. In der ersten Testphase wollten Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Dr. Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner der Branche nicht nur die Rückerstattung der Agrardieselsteuer streichen, sondern auch das grüne Nummernschild und damit Vergünstigungen bei der Kfz-Steuer. Letzteres wurde nach massiven Protesten zurückgenommen und es wurden weitere Kompensationen angekündigt. Die sind nun bekannt, nehmen sich jedoch im Vergleich zu 460 Mio. € an Belastungen, die auf die Landwirtschaft zukommen, mit gerade mal 21 Mio. € (so Berechnungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Steffen Bilger) nicht gerade üppig aus.

Das kann man sogar aus einer Bewertung von Dr. Gero Hocker herauslesen. Der Agrarexperte der FDP sieht in dem Paket „wichtige Akzente für mehr unternehmerische Selbstständigkeit und Planungssicherheit“. Denn Akzente haben es nun mal an sich, dass sie nichts Umfassendes sind, sondern punktuelle Anmerkungen an markanten Stellen. Markant fiel auch die Reaktion des früheren Umweltministers Jürgen Trittin (Grüne) aus. Der wies Nachbesserungsforderungen seitens des Bauernverbandes auf dem Nachrichtendienst X (früher Twitter) mit den Worten „dreist, dreister, Bauernverband“ zurück. Bürgergeldempfänger würden den Staat weniger kosten als die Bauern, behauptete er.

Nun trägt Jürgen Trittin keine Verantwortung in der aktuellen Bundesregierung. Dennoch muss man fragen, wer dem Agrarpaket den Drall gegeben hat und wer damit erster Ansprechpartner für Nachbesserungen ist. Bundesagrarminister Cem Özdemir ist es offensichtlich nicht. Schon im Winter musste er eingestehen, selbst von den Entscheidungen von Scholz, Habeck und Lindner überrascht worden zu sein; er hätte auch davor gewarnt, betont er seither immer wieder. Bei den Gesprächen der Fraktionsspitzen mit den Agrarverbänden nach den großen Demonstrationen war er ebenfalls außen vor. Und als nun dieselben drei, Britta Haßelmann (Grüne), Rolf Mützenich (SPD) und Christian Dürr (FDP), das Entlastungspaket schnürten, saß er wiederum nicht mit am Tisch. Auf dem Bauerntag in Cottbus mühte er sich dennoch dienstbeflissen, tapfer zu verteidigen, woran er am wenigsten mitgestrickt hat. Das machte allerdings mehr den Eindruck eines braven Parteisoldaten, der pflichtschuldigst dient, aber am liebsten ganz woanders wäre. Etwa als Ministerpräsident in Baden-Württemberg, so zu hören in Cottbus von Delegierten aus diesem Bundesland.

(Artikel aus LZ 27/2024)