08.02.2021

Vertical Farming

In der BrightBox in Venlo wird auf fünf Etagen mit der vertikalen Kultur von Gemüse experimentiert
Foto: Jasper den Besten

Moderne Produktionsform als interessante Alternative? Was ist Vertical Farming und unter welchen Voraussetzungen kann es sich rechnen? Welche Kulturen eignen sich dafür? Wie ist der Stand der Entwicklungen weltweit? Antworten auf diese Fragen gab es Ende des Jahres 2020 beim Online-Seminar „Neueste Entwicklungen im Unterglas-Gemüsebau“ der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG). Moderator Andreas Schmitt, LWG, konnte über 70 Online-Teilnehmer begrüßen. Als Experte auf dem Gebiet des Vertical Farming war Jasper den Besten aus dem niederländischen `s-Hertogenbosch zugeschaltet. „Vertical Farming nimmt weltweit Fahrt auf“, erläuterte Schmitt einleitend. Vereinfacht ausgedrückt versteht man darunter die Produktion von Lebensmitteln, insbesondere Gemüse in geschlossenen Räumen in Lagen übereinander. Besonders in großen Städten weltweit entstehen zurzeit solche Produktionsstätten, die platzsparend sind und die Bevölkerung mit frischem Gemüse versorgen können, das nicht erst herangeschafft werden muss. „Es wird geschätzt, dass dieses Indoor Farming in wenigen Jahren einen wesentlichen und selbstverständlichen Beitrag zur Nahrungsversorgung in urbanen Räumen leisten wird. Noch ist Deutschland relativ unberührt von dieser Entwicklung.“ Jasper den Besten, Professor für New Cultivation Systems an der HAS University of applied sciences, hat sich im europäischen Raum als einer der ersten mit Vertical Farming beschäftigt. Er ist Gründer der BrightBox in Venlo, wo Forschung in diesen neuen Anbausystemen betrieben wird, und er ist Geschäftspartner einer Vertical Farm in Singapur. In seinem Vortrag erläuterte er die Chancen und eventuellen Risiken dieser neuen Technologie. In modernen Gewächshäusern haben wir heute alle möglichen Werkzeuge, um es den Pflanzen so schön wie möglich zu machen: Heizung, Belichtung, Ventilatoren, Bewässerung, Düngung, Substrat, CO2, Luftbe- und –entfeuchtung, Lüftung, Schattierung, Energieschirme und Sensoren für alle Parameter. Aber zumindest in Nordwesteuropa ist es die Hälfte des Jahres zu dunkel und im Sommerhalbjahr kann die natürliche Einstrahlung rasch zu viel werden und Stress verursachen. „Dies sind die Herausforderungen des Gewächshausanbaus“, so Jasper den Besten, „wenngleich man mehr Faktoren steuern kann als im Freiland. Einige Anbauer können sehr erfolgreich mit diesen Komponenten umgehen und sorgen für ein gleichmäßiges Klima rund ums Jahr.“ Im Vergleich zum Indoor Farming ohne Tageslicht ist der Gewächshausanbau relativ kostengünstig. Begriffsklärung Es kursieren verschiedene Bezeichnungen für die Kultur von Pflanzen außerhalb des Bodens in geschlossenen Räumen ohne Tageslicht. Als Überbegriff nannte der Referent Controlled Environment Agriculture (CEA). Passend zum überwiegenden Anwendungsbereich gibt es auch die Begriffe City Farming, Urban Farming und Metropolitan Farming. Wobei darunter ja auch beispielsweise Dachgärten fallen oder Hochbeeten in Innenstadtparks. Beispielsweise in Japan spricht man von Plant factory, aber „Fabrik“ klingt für unsere Ohren eher negativ. Indoor Farming und Growing without Daylight treffen die Sache am besten, denn es muss nicht unbedingt mehrlagig, also vertikal sein. Vertical Farming ist eine Form des Indoor Farming. Wo der Boden günstig ist, ist ein Stapeln der Kulturen nicht unbedingt nötig. Das bringt nämlich Mehraufwand bei Pflege und Ernte der Kulturen. Flache Kulturen wie Salate oder Kräuter lassen sich mehrlagig anbauen. Mit hohen Kulturen wie Tomaten, Gurken, Paprika, Auberginen oder Himbeeren werden ebenfalls schon Erfahrungen mit Indoor Farming gesammelt, aber einlagig. „Vertical Farming ist weltweit ein stark wachsender Markt und wird zum Teil auch staatlich oder privat gefördert. Niederländische und deutsche Firmen liefern kulturtechnisches Wissen und Technologien.“ Wobei in Nordwesteuropa selbst bisher nur wenige Vertical Farms entstanden sind. Bei den hier üblichen Preisen für Obst und Gemüse sind Investitions- und Stromkosten einfach nicht zurück zu verdienen. Anders beispielsweise im Mittleren Osten, wo eine lokale Produktion wegen des Wüstenklimas bisher nicht möglich war und Obst und Gemüse teuer eingeflogen werden mussten. Generell sind Kulturen wie Kräuter, Blattgemüse, Rettich, Erdbeeren und Cannabis (anderswo in der Welt) für das Vertical Farming geeignet. Ob es sich rechnet, muss vor jeder Investition kalkuliert werden. Beispielsweise für Jungpflanzenproduzenten, die ganzjährig gleichbleibende Qualitäten liefern möchten, kann es auch in unseren Breiten interessant sein. Vorteile Die Produktion in geschlossenen, klimatisierten Räumen bietet viele Vorteile: So werden beispielsweise bisher keine Pflanzenschutzmittel gebraucht, da das Klima optimal ist und keine Schaderreger von außen eindringen können. Auch wird kaum oder kein Substrat verwendet, das Schaderreger beinhalten könnte. Zwar können die Pflanzen selbst schon Schaderreger mitbringen, aber mit einem guten Hygienekonzept ließen sich die Kulturen fast immer gesund halten, so die Erfahrungen des Experten. Dank der optimierten Kulturbedingungen seien auch zwei- bis dreimal höhere Quadratmetererträge erzielbar als in konventionellen Kulturen. Es können geschmackvollere Sorten gewählt werden, die sonst wegen ihrer Krankheitsanfälligkeit nicht bevorzugt werden. Eine termingenaue, exakt planbare Produktion in Anpassung an die Nachfrage ist an jedem Ort der Welt, unabhängig von den Außenbedingungen, möglich. Vertical Farming ist sehr platzsparend und es gibt weder CO2-Emissionen noch Lichtverschmutzung der Umgebung. Es wird 90 % weniger Wasser benötigt, dieses sollte im rezirkulierenden System allerdings desinfiziert werden. Ebenso sollte die eingespeiste Luft gefiltert werden. Ein großer Vorteil ist die radikal kurze Lieferkette: Obst und Gemüse können direkt vor Ort in unmittelbarer Nähe des Verbrauchers produziert werden, sodass keine Transportkosten sowie kein CO2-Ausstoß beim Transport entstehen und die Ware maximal frisch ist. Die Herkunft der Lebensmittel ist eindeutig und lokal. Herausforderungen „Die Technologie des Vertical Farming ist so neu, dass noch vieles erforscht werden muss“, räumt Jasper den Besten ein, „aber die größte Herausforderung ist momentan die profitable Kultur. Wenn das Geld nicht wieder reinkommt, kann besser im Gewächshaus kultiviert werden.“ Auch müssen die einzelnen Sorten noch weiter erforscht werden. „Wir nutzen zurzeit Sorten, die sich in Hydroponic schon bewährt haben, oder Sorten, die dafür bekannt sind, mit wenig Licht auszukommen.“ Züchter haben bisher noch keine speziellen Zuchtprogramme für das Vertical Farming. Da die Herausforderungen weniger im Pflanzenschutz liegen, kann die Züchtung sich vermehrt auf Geschmack und wertvolle Inhaltsstoffe fokussieren. Der Stromverbrauch liegt beim Vertical Farming bei rund 1 000 kWh/m² jährlich. Dies sollte nachhaltiger und günstiger Strom sein. Hierin liegt der Knackpunkt bei den üblichen Strompreisen in Deutschland. Und selbst in den Niederlanden ist eine Rentabilität fraglich. Eine weitere Herausforderung ist die Automatisierung im Vertical Farming, denn die Kultur in mehreren Lagen erfordert viel Handarbeit. Und nicht zuletzt wird weiterhin am idealen Indoor-Klima geforscht. Unterschiede zur Gewächshauskultur Anders als unter Glas im konventionellen Anbau besteht die Belichtung im Indoor Farming zu rund 90 % aus PAR-Licht, also photosynthetisch aktiver Strahlung, hauptsächlich Rot mit etwas Blau und eventuell Fernrot. Die Wärme aus der langwelligen natürlichen Strahlung, die Pflanzen im Gewächshaus zuteilwird, fehlt indoor. Die Pflanzen wärmen sich also weniger auf, die Lufttemperatur kann demnach höher sein. Die Lichtqualität ist in geschlossenen Räumen eine andere, was Bedeutung hat beispielswiese für den Wasserhaushalt der Pflanzen. Sie transpirieren weniger, sodass Wasserlogistik ein Thema ist. Diese geänderten Faktoren können physiologische Probleme bei den Pflanzen verursachen, die unter Glas kaum Thema waren. So hat man im Vertical Farming beispielsweise Spitzenbrand bei Blattgemüse und verdrehte Blätter bei Spinat beobachtet. Beim Auftreten diese Symptome spielt aber nicht nur die Pflanzenart, sondern auch die Sorte eine Rolle. Mit Klimaführung und Belichtung kann viel beeinflusst werden, aber da herrscht noch Forschungsbedarf. Jasper den Besten wies auch auf die enormen Energieverluste hin. Aus 100 % eingesetzter fossiler Energie wird 50 % elektrische Energie. Daraus werden 25 % Energie in Form von PAR-Licht aus den LEDs. Letztlich endet nur 1 % der Energie als Lebensmittel, weil die Photosynthese-Effizienz auch nicht so hoch (4 %) ist. Fazit: natürliches Licht ist zwar kostenlos, aber nicht perfekt, da es nur rund 50 % PAR-Licht enthält. Künstliches Licht kann man optimieren, es ist aber teuer und muss zurück verdient werden. Lichtrezepte Mit den verschiedenen Lichtspektren wird viel experimentiert. Rotes Licht gilt als wichtigste Farbe für die Photosynthese. Blaues Licht ist essentiell, denn es sorgt für die Stomataöffnung. Hinzufügen von Fernrot bewirkt dank des Emerson-Effekts eine erhöhte Photosynthese-Rate. Überdies kann Fernrot das Längenwachstum fördern. UV-Licht kann Qualitätsverbesserungen hinsichtlich der Pflanzeninhaltsstoffe wie Anthocyane oder Vitamine bewirken. Mit grünem Licht wird ebenfalls noch experimentiert: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir es brauchen, manchmal sehen wir positive Effekte“, sagt den Besten. Es gibt kein Patentrezept für die Belichtung in Indoor Farms, denn Arten und Sorten reagieren unterschiedlich auf die verschiedenen Spektren. Als Faustzahlen kann man sich merken: 200 µmol/sm² für die PAR-Strahlung über 16 h am Tag. Zusammengesetzt sollte das Licht aus 80-90 % Rot und 10 % Blau oder 20 % Weiß sein. Blau ist energetisch effizienter als Weiß, aber Weiß ist für die Arbeitskräfte angenehmer. In einer vollständig automatisierten Farm kann man also Blau bevorzugen. Abhängig von der Kulturart kann das Hinzufügen von Fernrot Vorteile wie beispielsweise Mehrerträge bringen. Zu beachten ist, dass nicht alle Kulturen kurze Nächte (4 h) vertragen. Tomaten beispielsweise wollen lieber acht Stunden Dunkelheit. Systeme In der BrightBox Venlo wird mit einem fünflagigen vertikalen System an verschiedenen Kulturen wie Salaten und Kräutern geforscht. Bei Pflege und Ernte ist es nicht einfach, an die oberste Lage heranzukommen. Jasper den Besten: „In den USA gibt es Farmen mit zehn bis zwölf Lagen. Ich wünsche ihnen viel Glück, aber ich möchte da nicht arbeiten.“ Ist das System hingegen voll automatisiert, sodass die einzelnen Paletten zur Ernte oder für Pflegetätigkeiten ähnlich wie Mobiltische per Roboter verschoben und auf angenehme Arbeitshöhe gebracht werden können, so steht mehreren Lagen nichts im Wege. Dann lassen sich die Regale auch ohne Zwischenwege dicht an dicht stellen, sodass man den Effekt mit weniger reflektiertem Licht an den Randreihen vermeidet und natürlich überdies noch Platz spart. „Wir versorgen die Kulturen in der Bright Box mit Klima durch Rohre, die auf der Rückseite der Lampen verlaufen und kleine Öffnungen haben, durch die Luft mit der richtigen Temperatur, Feuchtigkeit und CO2-Gehalt zugeführt wird. Auch das Wasser wird mit kontrollierter Temperatur, EC-Wert, pH-Wert und O2-Gehalt verabreicht. So erzielen wir ein sehr uniformes Klima in der gesamten Abteilung. Das einzige, was nicht uniform ist, liegt in diesem Regalsystem begründet. Zwischen den Lagen verlaufen Wege, also fällt am Rand der Lagen das Licht in die Wege und wird nicht reflektiert. Demzufolge kriegen die Pflanzen in der Mitte mehr Licht als die am Rand. Man kann das etwas ausgleichen, aber das kostet Geld“, so der Experte. Für wen es interessant ist Vertical Farming wird bereits seit Jahren in der Gewebekultur praktiziert, dort ist es längst Standard. Interessant kann es aber auch für die Kultur von Jungpflanzen für Gemüse oder Zierpflanzen sein. In Ländern, die Gemüse teuer (per Luftfracht) importieren müssen, wie Island, die Emirate oder Singapur, ist Vertical Farming eine interessante Alternative, die derzeit boomt. Auch für asiatische Megacities mit mehr als 10 Mio. Einwohnern, wo einfach der Weg vom Stadtrand bis zum Verbraucher sehr weit ist, kann Vertical Farming eine Lösung sein, zumindest für die Konsumenten, die sich die Produkte leisten können. In kleinem Umfang betreiben sogar Supermärkte in Deutschland schon Klimaschränke, in denen vor Ort Kräuter frisch herangezogen werden, vor den Augen der Käufer sozusagen. Auch für die Produktion von gesundem Pflanzenmaterial, beispielsweise von Erdbeeren, sieht den Besten Chancen im Vertical Farming. Und nicht zuletzt für die Forschung ist es ein interessantes Terrain. Kosten Die Investitionskosten für High-Tech Klimazellen, wie sie in der Forschung verwendet werden, können zwischen 3 000 und 25 000 €/m² betragen. Für die praktische Produktion in „kleinen“ Anlagen belaufen sich die Anschaffungskosten auf 1 300 bis 3 500 €/m². Ab Flächen von 5 000 m² sinken diese Kosten auf 800 bis 2 000 €/m², wie Jasper den Besten erläuterte. Die laufenden Kosten für Kulturen in Vertical Farming können sehr stark variieren weltweit. So sind Energiekosten ja allein schon zwischen den Niederlanden (70 €/m²) und Deutschland (200 €/m²) sehr unterschiedlich. Die Bankkonditionen für die Kredite sind weltweit ebenfalls sehr verschieden. So wollen manche Banken ihr Geld schon nach drei Jahren zurück, andere erst nach 15 Jahren. Personalkosten können ebenfalls stark variieren. Deshalb kann die folgende Rechnung nur ein Anhaltspunkt sein, Interessenten sollten natürlich mit den für sie in Frage kommenden Zahlen rechnen. Beispiel-Kalkulation für den Gestehungspreis von Kopfsalat bei ganzjähriger Produktion (€/m² und Jahr): Energie (Licht, Kühlung, Heizung)           70-200 Abschreibung, Instandhaltung, Zinsen        100-350 Arbeit                                     18-80 Betriebsmittel (Saatgut, Dünger, Wasser)    13-40 Gesamtkosten jährlich                      201-670 €/m² Bei einer Produktionsmenge von 200 g Kopfsalat/m² täglich liegen somit die Gestehungskosten für 200 g Kopfsalat bei 0,55 bis 1,83 €. Als Faustzahl nannte den Besten: „Die Salatproduktion kostet durchschnittlich 1 €/m² und Tag.“ Für Salat aus dem Gewächshaus liegt der Kostpreis bei 0,20 bis 0,35 €. Somit lohnt sich eine Produktion im Vertical Farming in unseren Breiten nicht für Salat. Anders sieht es bei Topfkräutern aus, so der Referent. Deren berechnete Gesamtkosten jährlich belaufen sich auf rund 300 €/m² im Vertical Farming. Nimmt man eine Kulturdauer von der Aussaat bis zum Verkauf von 25 Tagen an und setzt 60 Töpfe (11,5 cm Durchmesser) auf den Quadratmeter, so lassen sich jährlich 876 Töpfe/m² produzieren. Die Produktionskosten für einen Topf Basilikum liegen somit bei 0,35 €. Verkauft werden Topfkräuter im Lebensmitteleinzelhandel in der Regel deutlich hochpreisiger, sodass hier das Vertical Farming rentabel sein kann. Zumal es die Vorteile gleichbleibender Erträge und Qualitäten das ganze Jahr über bietet. Sabine Aldenhoff