19.02.2024

Kommentar: Wenn das Fass überläuft

Foto: RLV

Selten ist ein Jahr so turbulent gestartet wie das Jahr 2024. Bahnstreiks, Ärzteproteste, Kundgebungen gegen Rechtsextremismus und die Aktionen der Bauern gegen die Sparpläne der Politik – in Deutschland war ganz schön viel los im Januar.

Nicht zu übersehen waren in ganz Deutschland die vielen Landwirte mit ihren Treckern, über deren Unzufriedenheit in den
Nachrichten und Zeitungen zahlreich berichtet wurde. Dabei ging es den Bauern schön längst nicht mehr nur um die Frage der Beibehaltung der Steuervergünstigung beim Agrardiesel. Die Proteste spiegelten die große Verunsicherung in der Branche wider. Viele Landwirte fragen sich, welche Zukunft die Landwirtschaft in Deutschland hat und ob sie mit der Konkurrenz aus dem Ausland weiter mithalten können. Lohnt es sich für die Generation der Kinder noch, den elterlichen Hof zu übernehmen? Das sind die Fragen, um die es ihnen wirklich geht.

Die Bauern stehen unter anderem vor dem Problem, dass die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft genauso umfangreich wie widersprüchlich sind. Die meisten Menschen wünschen sich mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit, greifen aber im Supermarkt gerne zu günstigen Produkten. Der Handel wirbt zwar mit regionalen Lebensmitteln, sitzt aber bei den Preisverhandlungen am längeren Hebel und richtet sich bei den Preisen nach den internationalen Märkten. Die Höfe benötigen sowohl Geld als auch Planungssicherheit, um die Landwirtschaft auf eine klimafreundlichere Basis umzustellen.

Gleichzeitig sind viele Landwirte von den EU-Subventionen abhängig und somit den wechselnden politischen Vorstellungen ausgeliefert. Im Vergleich zu den EU-Subventionen in Milliardenhöhe wirkt der Auslöser der aktuellen Bauernproteste zum Jahresbeginn eher gering. Die Landwirte sprechen selber vom Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Für viele Landwirte dürfte je nach Betriebsform der schrittweise Wegfall der Steuervergünstigung beim Diesel finanziell schmerzhaft werden. Vermutlich werden die Einkommen der Höfe dadurch nur wenige Prozent sinken. Viele Betriebe haben jedoch in den vergangenen Jahren zum Teil gut verdient. Deswegen ist es eher unwahrscheinlich, dass die Kürzung reihenweise Höfe in den Ruin treibt. Bei den Betrieben, die vorher schon mit dem Rücken an der Wand gestanden haben, sieht das anders aus. Dem Klima ist mit dem Wegfall der Steuervergünstigung in den nächsten Jahren allerdings kaum geholfen, was schlichtweg an einem Mangel an Alternativen liegt.

Die Landwirte sind zumindest bei schweren Maschinen, wie Mähdrescher, Roder und Co., noch auf den Diesel angewiesen. Sie können noch nicht auf elektrische Antriebe umsteigen, weil es für die schweren Geräte noch keine Batterien gibt. Bisher scheiterten Geräte mit elektrischem Antrieb oft an der gewaltigen Energiemenge, die für den Einsatz schwerer Landmaschinen notwendig ist.

Auf der Fachmesse Agritechnica Ende November 2023 zeigten beispielsweise Forschende der Technischen Universität München einen Entwicklungsbaukasten für E-Traktoren – aber vor allem für kleinere und mittlere Traktoren. Auch einige Landmaschinenhersteller haben den Elektro-Traktor für sich entdeckt und kleine Trecker bereits vorgestellt oder angekündigt, einen batteriebetriebenen Traktor mit hoher Leistung auf den Markt
bringen zu wollen. Sicher ist aber schon jetzt, dass diese E-Traktoren deutlich teurer sein werden als ein vergleichbarer Diesel-
Traktor.

Die Bundesregierung wäre gut beraten, das Abschmelzen der Dieselbeihilfe mit einem Anreiz zu verbinden, in klimafreundlichere Maschinen zu investieren. Die alleinige Subventionskürzung greift zu kurz. Die Bundesregierung muss sich den eigentlichen Problemen der Landwirtschaft stellen. Die Proteste bieten eine Chance, dies jetzt endlich zu tun.

Birgit Scheel

(Artikel aus GP 02/2024)