19.02.2024

Zu Besuch in der Rheinischen Pilzzentrale

Die gesamte Kulturdauer umfasst insgesamt vier Wochen, in der Regel wird in zwei Wellen geerntet. Das Substrat und die Deckerde könnten theoretisch noch ein drittes Mal verwendet werden, allerdings steigt mit der Kulturdauer auch das Krankheitsrisiko
Foto: Jacobsen

Ein bisschen konnte man ja schon ahnen, wer am Abend in Dr. Thompson's Seifenfabrik den Retail Awards Gewinner in der Kategorie SB-Warenhäuser nach Hause schleppen würde, schließlich stand mit der Globus-Markthalle in Wesel ein mit 6000 m2 zwar kleiner, aber sehr feiner Markt der Globus SB-Warenhaus Holding GmbH & Co. KG auf dem Exkursionsprogramm.

Mit einer mittleren dreistelligen Anzahl an Artikeln im Obst- und Gemüsesortiment gab es in Wesel mit Sicherheit auch eine gut sortierte Auswahl an Pilzen in den Kühltheken zu bestaunen, wer jedoch erfahren wollte, wo diese eigentlich herkommen, musste das andere Exkursionsziel wählen, das eine Busladung voll Interessierter ins niederrheinische Geldern brachte, die vom Vertriebsleiter der Rheinischen Pilzzentrale (RPZ) in Empfang genommen und mit allem Wissenswerten rundum die Firmengeschichte, Anzucht und den Vertrieb versorgt wurde.

Alfred Evers, und damit schloss sich einmal mehr der Kreis zum anderen Exkursionziel, erklärte, dass die RPZ großen Wert auf Regionalität lege. Kurze Lieferwege statt langer Anreise schone nicht nur die Umwelt, sondern helfe auch, Qualitätsverluste zu vermeiden. Abgesetzt wird direkt an den Lebensmitteleinzelhandel. Die RPZ ist dabei der Nachfolger der Rheinland Champion, die 2023 ihr 50-jähriges hätte feiern können, und dient der Bündelung der Produktionsmenge der Deckers-Betriebe.

Die Deckers Unternehmensgruppe selbst zählt wiederum als mittelständisches, inhabergeführtes Familienunternehmen mit ihrer Firmenzentrale in Geldern unter die Top drei der Champignonzüchter in Deutschland, in NRW steht sie ganz oben auf dem Podium. Hauptzweck der RPZ und ihrem Analogon der Rhein-Neckar Pilze in Bürstadt ist es, dem deutschen LEH die komplette Bandbreite an Zucht- und Wildpilzen aus einer Hand anzubieten. „Am Hauptstandort in Geldern werden bis zu 260 t `Klasse 1´-Pilze in der Woche produziert, im hessischen Zuchtbetrieb in Bürstadt sind es etwa 110 t, also die Hälfte, die wöchentlich geerntet werden.“

Braun und weiß

Evers weiter: „Interessanterweise werden im Süden mehr braune Champignons produziert, da die Nachfrage nach den Braunen im Verhältnis zum Norden höher ist. Heutzutage besteht etwa 65 % der gesamten Produktionsmenge in Bürstadt aus braunen Champignons", skizziert Alfred, Prokurist und Vertriebsleiter beim Unternehmen. Andreas Joisten, Zuchtleiter der Marco Deckers KG, führte durch einen Teil der Produktionsanlagen und schnell wurde klar, dass es vertical farming schon gab, lang bevor es dafür einen Namen gab: In sechslagigen Regalen werden in Geldern Champignons gezüchtet.

„So sparen wir eine Menge Anbaufläche. Als Substrat setzen wir ausschließlich Nebenprodukte der landwirtschaftlichen Erzeugung ein. So fällt kein Restmüll an. Unser Pilzanbau in Deutschland kommt ohne Chemie oder gentechnisch veränderte Organismen aus. Zudem setzen wir erneuerbare Energien wie Geothermie und Photovoltaik ein, um die Umwelt zu schonen.“ Aber auch wenn sich der Einsatz von KI und Robotertechnik in kürzester Zeit rasant entwickelt habe und mit Sicherheit noch einiges auf uns zukommen wird, geht ohne die mehreren hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Anzucht und der Ernte nichts.

Und so waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann schnell beim Thema Mindestlohn gelandet, von da war nicht weit zu den Energiepreisen und auch in der Pilzanzucht ist neben Strohverfügbarkeit und –qualität Torfersatz ein kontrovers diskutiertes Thema. Denn auch wenn in Sachen Deckerde seit Jahren Anstrengungen unternommen würden, vom Torf wegzukommen, steht eine auch in Hinsicht auf Produktionssicherheit eine gänzlich überzeugende Lösung noch aus. Etwas weiter ist die Etablierung von Pilzen als neuen Proteinquellen.

Pilze bieten in dieser Hinsicht mehrfach Vorteile, nicht zuletzt, da sie auf engsten Raum im geschützten Anbau produziert werden, weshalb verglichen mit anderen Gemüsekulturen relativ wenig Fläche gebraucht wird. Darüber hinaus sind Pilze besonders nährstoffreich und gleichzeitig Kalorien- sowie Fettarm, was wiederum den heutigen Zeitgeist trifft. Ein weiterer Vorteil von Pilzen ist die ganzjährige Produktion.

Kultur nach Fahrplan

20 Tage lang wird der Nährboden aus Weizenstroh, Mist und Gips für die Champignonkulturen kompostiert, nach der Pasteurisierung wird das Kultursubstrat mit der Champignonbrut geimpft. Die Brut besteht aus Getreidekörnern mit Champignonmycel. Das Substrat wird abgedeckt und in den klimatisierten Kulturräumen bei um die 26 °C eingelagert. Das Raumklima bedingt dann die Anzahl der Knöpfe und damit auch die Größe der Champignons. Der anschließende Temperaturabfall um zehn Grad löst dann die Fruchtkörperbildung aus.

Von da ab geht alles rasend schnell: die Fruchtkörper verdoppeln alle 24 Stunden ihre Größe, deshalb müssen die Regale auch mehrmals am Tag beerntet werden. Nach der Ernte kommen die Pilze in einen Schnellkühler, bei 3 °C stoppt das Wachstum und verlängert sich die Haltbarkeit. Hochwertige Kunststoffschalen mit Anti-Fog-Beschichtung und geschlitztem Deckel oder alternativ Pappschalen mit PVC-freien Folien sorgen dann für den Schutz der empfindlichen Ware bis hin zum Konsumenten.

„Pilze aus deutschem Anbau sind das ganze Jahr über frisch geerntet verfügbar. Pilze müssen also nicht aus der Dose oder Tüte kommen. Diese Frische kommt gut an. Genauso wie die Regionalität, unsere Pilze müssen nicht weit transportiert werden, bevor sie im Supermarktregal landen.“ Etwas hektischer wird es dann ausgerechnet zur staden Zeit. „Um die Feiertage herum liefern wir gut 600 t pro Woche aus, da kommen wir kaum mit der Produktion hinterher“, weiß Elvers.

„Was heute geerntet wird, wird spätestens am nächsten Morgen verpackt und ausgeliefert und ist schon übermorgen in den Regalen unserer Kunden." Die Unternehmensgruppe beliefert mit ihren Produkten alle namhaften Lebensmitteleinzelhandels- und Discounterketten in Deutschland. Das Erfolgsrezept lautet: „Wir liefern und produzieren nach Kundenwünschen.“ Die frisch geernteten Champignons werden im Unternehmen nach Kundenwünschen verpackt, kommissioniert und ausgeliefert, der Trend geht dabei hin zu kleineren Gebinden.

Der Selbstversorgungsgrad bei Pilzen liegt in Deutschland bei rund 60 %. Auch wenn ein gewisser Prozentsatz wohl immer aus dem Ausland bezogen werden wird, da die Preise der ausländischen Produkte meist günstiger ausfallen, gibt es doch Potential für weiteres Wachstum. Ob das dann in Form des Klassikers in Schalen oder doch eher als Champidellen, also fleischfreien Frikadellen hergestellt aus Pilzen, erfolgen wird, wird die Zukunft zeigen. Letztendlich sei das wichtigste Unternehmensziel zufriedene Kunden: „Wir sind erst zufrieden, wenn unsere Kunden zufrieden sind.“ Und damit wären wir wieder bei Globus & Co. gelandet.

Tim Jacobsen

(Artikel aus GP 02/2024)