04.03.2024

„Echolot“ auf die momentane Situation im Südtiroler Obstbau

Foto: Absolventenverein für landwirtschaftliche Schulen

Das Obstbauseminar, jährlich seit 1991 vom Absolventenverein für landwirtschaftliche Schulen in Lichtenstern am Ritten bei Bozen organisiert (federführend von Klaus Kapauer), war und ist eine Wissensschmiede für engagierte Obstbauern. So auch heuer (im Januar) wieder. Das Seminar ist immer wieder ein Gradmesser der Probleme, die gegenwärtig den Obstbauern unter den Nägeln brennen. An drei Tagen standen 25 Referate auf dem Seminarprogramme und man kann sich vorstellen, mit welcher Intensität dort im geschlossenen Rahmen oft bis tief in die Nacht hinein diskutiert wurde.

Das Thema, das die Obstbauern heute am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist der Pflanzenschutz. Und das in dreifacher Weise. Einmal bereiten als Folge des Klimawandels immer neue invasive Schädlinge und Pilzkrankheiten Sorgen, gleichzeitig schwindet von Jahr zu Jahr die Liste der zur Verfügung stehenden Pflanzenschutzmittel (viele Zulassungen „guter" auch umweltfreundlicher Wirkstoffe laufen aus und werden von den Herstellerfirmen nicht wieder neu registriert), und schließlich schießt die EU aus dem Nichts und teilweise ohne wissenschaftliche Grundlage, Restriktionen in den Raum, die weder begründet noch umsetzbar sind. Die Obstbauern sind mehr als besorgt.

Ein Rufer in der Wüste, ist Prof. Andreas von Tiedemann (Universität Göttingen), indem er fundiert eine Lanze für den Pflanzenschutz brach mit der Behauptung: Den Pflanzenschutz braucht es, weil er essenziell unabdingbar für die weltweite Ernährungssicherheit der Menschen ist und weil er besser ist als vielfach angenommen.

Produktionszunahme bei gleichbleibenden Anbauflächen erwünscht
„Der Pflanzenschutz verhindert Ertragsverluste um rund 1⁄3 im Feld und in der Nachernte, zudem müssen wir bis 2050 die Produktion verdoppeln, wie soll das ohne synthetische Pflanzenschutzmittel gelingen? Ist es ökologische sinnvoller, auf jede Chemie zu verzichten und die Anbauflächen entsprechend zu vergrößern? Dazu haben wir ja nicht einmal die Kapazitäten. Man muss naive sein, um zu glauben, dass der Bio-Pflanzenschutz den chemischen ersetzen kann. Was wir in Wirklichkeit brauchen, ist eine Produktionszunahme bei gleichbleibenden Anbauflächen.

Weitere Restriktionen im Pflanzenschutz, wie sie von der EU angedacht und geplant werden, sind schlicht und einfach sinnlos und kontraproduktiv. Treffend auch seine Aussagen: „Wissenschaftler suchen die Wahrheit, Politiker die Mehrheit".

In eine ähnliche Kerbe schlug Herbert Dorfmann, EU-Parlamentarier der zum aktuellen Stand der EU-Strategie im Rahmen des „Green Deal" und „Farm to Fork" referierte.

Der Grundidee der EU-Initiative liegen durchaus auch positive Aspekte zugrunde, aber gewisse Brüsseler „Schreibtisch" - Bestimmungen, Dorfmann nannte sie „Brüsseler Wahnsinn", wie z. B. das SUR (Sustainable Use Regulation), das alternativlos unausführbare Reduktion der Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 50 % vorsah, ist - Gott sei Dank- mittlerweile versenkt worden. In der Zwischenzeit steht die EU auch neueren Gen-Techniken nicht mehr absolut negativ gegenüber (z. B. der Gen-Scheren-Technik).

Kalkulationen, Liquiditätsrechnungen und Erfolgsanalysen
Am Obstbauseminar stehen immer wieder betriebswirtschaftliche Themen aus anderen europäischen Obstbaugebieten auf dem Programm. So auch heuer. Der Obstbau in der EU steckt in einer Krise, besonders auch in Deutschland. Matthias Görgens, Betriebswirt aus dem Alten Land, durchleuchtete die Betriebswirtschaft der Altländer Obstbaubetriebe. „Schwierige Zeiten erfordern umsichtiges Handeln", war seine Kernaussage. Aber erfolgreich wirtschaften kann man nur, wenn man durch Kalkulationen, Liquiditätsrechnungen und Erfolgsanalysen den Tatsachen ins Auge sieht, diese erkennt und angemessene Reaktionen folgen lässt.

Es stimmt nicht, dass es dem Obstbau generell schlecht geht. Görgens teilt die Betriebe in drei Drittel. Ein Drittel hat wahrlich Existenzsorgen, das zweite Drittel schlägt sich mehr schlecht als recht durch und das letzte Drittel ist auch in schlechten Jahren erfolgreich. Vergleichszahlen legen deren Stärken zutage. Es gilt zu erkennen, was diese besser machen.

Letztlich sind es: höhere Erträge, bessere Qualität, eine weitblickende Sortenerneuerung, ein kostenbewusstes Wirtschaften und eine effiziente Vermarktung. Eigentlich nichts Neues, aber man muss es eben zwingend anstreben.

Ökologie, Ökonomie und Soziales
Eduard Hollinger vom Schweizer Obstverband schilderte die Bestrebungen nach nachhaltigem Obstbau aus Schweizer Sicht. Ähnlich wie in Südtirol das Sustainapple-Projekt sprechen sich auch in der Schweiz Produzenten und Vermarkter klar und deutlich für einen nachhaltigen Obstbau aus. Aber, (aus der Sicht von EU-Produzenten gesehen), nicht von „oben" vordiktiert, sondern über eine gemeinsame koordinierte nationale Branchenlösung zwischen Produzenten, Vermarktern und Konsumenten. Über 12 verschiedene Nachhaltigkeitsziele strebt man an, unter dem „Schirm" der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und Soziales zu vereinen. Aber nicht zum Nulltarif. Schweizer Obstbauern fordern, für die weitreichenden Maßnahmen schlussendlich vom Konsumenten, einen angemesseneren höheren Preis: man spricht von 6 Rappen (= 6,5 €-Cent) pro kg.

Mit besonderem Interesse wurden Vorträge zum Thema „Genossenschaften" verfolgt. Aus Südtiroler Sicht betrachtet sicherlich ein Erfolgsmodell. In einer mit Spannung erwartetet Podiumsdiskussion mit Beteiligung von Genossenschaftsfunktionären, Produzenten und Vertretern aus der Wirtschaft wurde die Thematik konstruktiv unter die Lupe genommen. Kernaussage aller Beteiligten war schließlich: Die großen Veränderungen sind zeitgemäß, keine Frage. Heute kann auf der europäischen Apfel-Absatzbühne nur mehr existieren, wer konzentriert aufgestellt ist (Genossenschafts-Fusionen) und in der Lage ist effizient zu operieren (Zentrale Vermarktung). (Kurt Werth)

Weitere Informationen: www.absolventenverein.it

Quelle: FreshPlaza