08.02.2024

FAZ: EU will Weg für Genschere an Pflanzen frei machen

Die Crispr/Cas-Genschere beschleunige durch gezielte Eingriffe ins Genom nur, was mit klassischer Züchtung genauso möglich wäre.
Foto: Scheel

Das Europaparlament will geneditierte Pflanzen mit normalen Züchtungen gleichstellen. Grüne und SPD sprechen von einem „schwarzen Tag“ für die Landwirtschaft, CDU und Liberale von einer großen Chance.

Für viele Bauern und die Agrarindustrie ist es eine große Chance, die Ernährung in Zeiten des Klimawandels zu sichern oder auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verringern; für Biobauern ist es dagegen Gentechnik unter anderem Namen: Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) wie der Crispr/Cas-Genschwere erzeugt wurden. Dabei gibt es zwischen diesen Pflanzen und gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) große Unterschiede. Anders als bei GVO werden in der Regel keine fremden Gene in eine Pflanze eingeschleust, etwa um sie gegen Insekten resistent zu machen. Die Crispr/Cas-Genschere beschleunige durch gezielte Eingriffe ins Genom nur, was mit klassischer Züchtung genauso möglich wäre, argumentieren die Anhänger.

Die Europäische Kommission teilt diese Ansicht. Sie hat deshalb im Sommer vorgeschlagen, geneditierte Pflanzen bei der Zulassung genauso zu behandeln wie herkömmliche Züchtungen. Das läuft auf eine Anmeldepflicht ohne weitere Sonderregeln hinaus. Bedingung ist, dass sie eben auch auf natürlichem Wege oder durch gezielte Züchtung – etwa durch Kreuzung und Auslese – entstanden sein könnten. Bisher gelten für geneditierte Pflanzen nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 dieselben Verfahren wie für GVO. Die sind langwierig und haben Europa, von Ausnahmen abgesehen, faktisch zu einem GVO-freien Kontinent gemacht. Anders als bei herkömmlichen gentechnisch veränderten Pflanzen sollen einzelne EU-Staaten nach dem Vorschlag weder den Anbau dieser editierten Pflanzen noch Freilandversuche verbieten können.

Relativ knappe Mehrheit für neue Gentechnik-Verordnung der EU

Das Europäische Parlament hat sich am Mittwoch mit einer relativ knappen Mehrheit von 307 zu 263 Stimmen und 41 Enthaltungen hinter den Kommissionsvorschlag für die neue Gentechnik-Verordnung gestellt. Anders als die Kommission fordern die Europaabgeordneten allerdings eine Kennzeichnungspflicht von Waren etwa im Supermarkt, die durch neue genomische Techniken erzeugt wurden. Die Kommission hatte nur vorgeschlagen, das Saatgut zu kennzeichnen. Sie will so verhindern, dass das Saatgut im Ökolandbau versehentlich Anwendung findet. Dort soll es, auch nach dem Beschluss des Europäischen Parlaments, verboten bleiben.

Heftige Kritik an dem Beschluss äußerten Grüne und SPD. „Was die Konservativen mit Stimmen der Liberalen und Rechten hier unterstützt haben, ist für mich ein politischer Offenbarungseid und spottet jeder Vernunft“, sagte der Europaabgeordnete der Grünen und Biobauer Martin Häusling. Es sei unverantwortlich, dass im Interesse der Agrarindustrie im Hauruckverfahren ohne ausreichende Konsultationen der Weg frei gemacht werde für den fahrlässigen Umgang mit neuer Gentechnik. Hunderte Wissenschaftler, die Zivilgesellschaft, Ökoverbände und Hunderte Unternehmen seien Sturm dagegen gelaufen. Die SPD-Abgeordnete Maria Noichl sprach von einem „schwarzen Tag“ für Land­wirte. Konventionelle und ökologische Landwirte würden mit der verabschiedeten Position den notwendigen Schutz aus den bisher geltenden Regelungen zur Koexistenz, Rückverfolgbarkeit und Transparenz teilweise verlieren.

Der CDU-Abgeordnete Peter Liese dagegen betonte: „Als Arzt, der sich in seiner Doktorarbeit intensiv mit Gentechnik auseinandergesetzt hat, sehe ich keine unverantwortlichen Risiken für Mensch und Umwelt, da keine fremden Gene eingeführt werden.“ In der sogenannten natürlichen Pflanzenzucht werde das Saatgut oft mit Gammastrahlen bestrahlt, ohne dass sich darüber jemand aufrege. Von einer „guten Entscheidung“ sprach der FDP-Abgeordnete Jan-Christoph Oetjen. Die neuen Methoden ermöglichten resistentere Pflanzen und geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Nachdem das Europäische Parlament nun sein Verhandlungsmandat beschlossen hat, müssen noch die Mitgliedstaaten eine gemeinsame Position festlegen. Ein erster Anlauf dafür im Rat der Agrar­minister war auch gescheitert, weil sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte und sich deshalb enthalten musste. Belgien, das von Januar bis Ende Juni die Geschäfte im Rat führt, hat eine rasche Einigung zugesagt. Anschließend müssen sich Parlament und Ministerrat aber noch auf einen gemeinsamen Text für das EU-Gesetz verständigen. Die Zeit dafür wird vor der Europawahl vom 6. bis 9. Juni knapp.

Nicht geklärt ist in dem Verordnungsentwurf die Frage, wie das Patentrecht für geneditierte Pflanzen geregelt werden soll. Der Punkt sorgt für Zündstoff zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen. Das Europäische Parlament hat sich am Mittwoch zwar dafür ausgesprochen, mit genomischen Techniken erzeugte Pflanzen nicht mehr patentieren zu können. Rechtlich bindende Wirkung hätte das aber nicht. Dennoch äußerte die Biotechnologie-Vereinigung DIB des Verbandes der Chemischen Industrie heftige Kritik. Die bewährte Patentregelung infrage zu stellen gefährde die Rechtssicherheit und Innovationen in der medizinischen und industriellen Biotechnologie. Damit werde vor allem Start-ups sowie kleinen und mittleren Unternehmen ihr einziges Schutzrecht entzogen.

Quelle: F.A.Z.